Der Seeadler ist Deutschlands größter Greifvogel - mit einer bewegten Geschichte. Er kommt heute noch in Skandinavien, Mitteleuropa, von Südosteuropa bis Griechenland und die Türkei sowie östlich über Russland bis an die Ostküsten Nordasiens vor. Früher war er darüber hinaus noch in großen Teilen West- und Südeuropas und bis nach Nordafrika verbreitet. Während sich die Bestände nach drastischen Rückgängen beispielsweise in Mitteleuropa und im Baltikum wieder erholen, gilt der Seeadler in Italien, Schweiz, Frankreich, Spanien, Portugal, den Faröerinseln, Korsika, Sardinien und Irland als ausgestorben.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Seeadler in Deutschland durch menschliche Verfolgung und die Folgen Einsatzes von Insektiziden wie DDT fast ausgerottet. Seit den 1980er Jahren erholen sich die Bestände wieder, nachdem die Verfolgung eingestellt, die Anwendung von DDT und anderer Pestizide verboten und vielerorts effektive Schutzmaßnahmen für die Horste während der Fortpflanzungszeiten etabliert wurden. Neue Bedrohungen wurden bekannt, wie die Vergiftung durch bleihaltige Munition. Auch für Infektionskrankheiten sind die Tiere empfänglich: „Seeadler ernähren sich vor allem im Winter von Aas und Aufbrüchen von Jagdwild sowie, wenn verfügbar, auch von Wasservögeln“, sagt CRF-Greifvogelspezialist Oliver Krone, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. „Natürlich sind kranke und schwache Tiere eine leichte Beute für den Seeadler. Das führt dazu, dass die Greifvögel neben Blei (Pb) aus Jagdmunition auch immer wieder mit Viren wie der Vogelgrippe und anderen Krankheitserregern konfrontiert sind.“

Dr. Krone und sein Freund und Kollege Jānis Ķuze vom Latvijas Dabas Fonds (Latvian Fund for Nature) in Lettland engagieren sich für die Erforschung und den Schutz der Seeadler und anderer Greifvögel in Mittel- und Osteuropa. Durch eine Beringung und ein Gesundheitsmonitoring der Tiere behalten sie die Entwicklung der Populationen genau im Auge und können insbesondere gesundheitliche Risiken und Konflikte mit den Menschen fundiert einschätzen.

Ķuze hat in an der lettischen Ostseeküste nahe der Stadt Durbe einen Seeadlerhorst mit einer Webcam ausgestattet, über die die Tiere ganzjährig beobachtet werden können (die Webcam wird über Solarstrom betrieben, gelegentliche Auszeiten bei schwachem Licht sind möglich):

Das Jahr verläuft für Seeadler in einem natürlichen Rhythmus, in dem jede Lebensphase auf die bestehenden Bedingungen angepasst ist:

  • Im Herbst und Winter, wenn die Jungtiere des vergangenen Jahres den elterlichen Horst verlassen haben, beginnt die Balz der ausgewachsenen Adler. Dabei rufen die Adler häufig im Duett. Meistens lassen sich die Stimmen der Partner unterscheiden, wenn das Weibchen in einer tieferen und das Männchen einer höheren Tonlage ruft. Im Balzflug sind beide Vögel dicht neben- oder übereinander zu sehen, wobei sie sich häufig zueinander drehen, so dass der untere Partner kurzzeitig auf dem Rücken fliegt. Gelegentlich greifen sie sich dann an den Füßen und schlagen ein Rad. Der Winter ist auch die Zeit, in der der Horst ausgebessert oder ein neuer errichtet wird. Dazu werden Stamm- oder Astgabeln, alte Nester von Raben oder Greifvögeln, selten Hexenbesen als Unterlagen gewählt. Trockene, bis zu armstarke Äste werden vom Boden aufgesammelt oder von Bäumen abgebrochen. Die Horstmulde wird mit kleineren Ästen und Zweigen von Laub- und Nadelbäumen und Gras ausgepolstert.

  • Der Höhepunkt der Balz wird während der Paarungszeit im Februar und März erreicht. Zur Sache geht es dabei im direkten Umfeld der Horste auf Bäumen oder am Boden sowie direkt im Horst statt. Paarungen können im ganzen Tagesverlauf beobachtet werden, wobei eine Häufung in den Morgenstunden erfolgt. Mit der Eiablage endet die Balz. Die ein bis zwei, selten auch drei, weißen Eier werden in Abständen von zwei bis drei Tagen Ende Februar bis Mitte März gelegt.

  • Die Brut bei Seeadler dauert im Durchschnitt 39 Tage und wird mit dem ersten Ei begonnen, das zweite folgt mit wenigen Tagen Abstand. Beide Partner brüten, wobei das Weibchen oft den größeren Anteil daran hat. Es gibt nur eine Jahresbrut, Nachgelege sind sehr selten. Zwischen April und Juni schlüpfen die meisten Jungtiere. Die Jungvögel werden von beiden Altvögeln gehudert und gefüttert, wobei in den ersten Lebenstagen sehr kleine Stücke aus der Beute herausgerissen und behutsam an die Jungvögel verfüttert werden. Später ist der Hunger und die Aggression der Jungvögel so groß, dass die Altvögel die Beute z.T. nur noch in den Horst fallen lassen und sich so kurz wie möglich im Horst mit den Jungadlern aufhalten.

  • Sechs bis acht Wochen nach dem Schlüpfen, verteilt über die frühen Sommermonate, werden Jungvögel in Norddeutschland von Greifvogelspezialisten wie Oliver Krone und vielen weiteren Expert:innen beringt. Dies ist nicht nur eine gute Gelegenheit, die Jungtiere zu zählen und dadurch die Bestandsentwicklung im Blick zu behalten, sondern auch wichtig für die Forschung: Krone nimmt Blutproben, untersucht die Tiere auf Parasiten oder - in besonderen Fällen - legt ihnen einen Sender an, um genau zu sehen wann sie flügge werden, ihr elterliches Revier verlassen und wie die Wanderungen in den ersten Lebensjahren ablaufen. Kürzlich fanden Dr. Krone und Kollegen heraus, dass junge Seeadler länger im elterlichen Revier bleiben als vermutet und die die Horstschutz-Zeiträume, die die sensiblen Tiere etwa vor Waldarbeiten schützt, zu kurz greifen. Zudem belegen Untersuchungen von Stresshormonen im Kot der Tiere, dass Wege, die vom Menschen genutzt werden und zu dicht an den Horsten vorbeiführen zu erhöhtem Stress bei den Adlern führen. Forschung und Artenschutz arbeiten hier Hand in Hand.

  • Im Juli und August verlassen die Jungtiere den Horst, verbleiben aber noch mehrere Wochen bis Monate im elterlichen Revier. Zwischen August und Oktober verlassen die jungen Seeadler in der Regel das Revier der Eltern, um ein eigenes Revier zu finden. Teilweise sind die Jungvögel schon wenige Wochen nach dem Flüggewerden hunderte von Kilometern entfernt anzutreffen. Etwa 4 bis 5 Jahre führen die jungen Adler ein Vagabundenleben, bis sie schließlich ein eigenes Revier etablieren und im Alter von 5 bis 7 Jahren zur Fortpflanzung schreiten.

Wesentliche Lebensphasen des Seeadlers am Horst in Durbe, Lettland, sind in diesem Film zusammengefasst:

Wollen Sie die Forschung und den Schutz der Seeadler unterstützen?

Der Conservation and Research Fund unterstützt Wissenschaftler:innen und Artenschützer:innen wie Oliver Krone und Jānis Ķuze dabei, Greifvögel und ihre Lebensräume zu erforschen und wissenschaftsbasierte Schutzmaßnahmen durchzuführen. Mit Ihrer Spende helfen Sie Dr. Krone und Kuze bei ihrer Arbeit. Der gespendete Betrag geht zu 50% an das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung für Dr. Krones Arbeit und zu 50% an den Latvijas Dabas Fonds für die Arbeit von Kuze.

Spenden Sie hier für die Seeadler (via Paypal)

Sie können diese Initiative auch direkt per Banküberweisung an den CRF unterstützen:

Kontoinhaber: Conservation and Research Fund
IBAN: DE18 8306 5408 0005 2202 62
BIC: GENO DEF1 SLR
Verwendungszweck: Seeadler

Vielen Dank!